Naturwissenschaften im Kontext sprachlicher Bildung

In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl an Konzepten zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung für die pädagogische Praxis entwickelt. Diese zeigen, dass Maßnahmen zur sprachlichen Bildung in der Kita nicht an die Anschaffung teurer Programme gekoppelt sein müssen oder stets losgelöst vom Gruppengeschehen in separaten Räumen zu erfolgen haben. Vielmehr eignen sich viele Situationen des pädagogischen Alltags, um kindliche Sprachbildungsprozesse anzuregen. 


Bisherige Arbeit im Zusammenhang des Projektes

Angebote zur naturwissenschaftlichen Bildung können besonders gut mit Maßnahmen zur sprachlichen Bildung verknüpft werden. Naturwissenschaftliche Bildungsangebote sollen dabei aber nicht nur als reiner Sprechanlass dienen, sondern sie eignen sich dazu, gezielt sprachliche Strukturen (z.B. die Grammatik) und Sprachhandlungsformate (z.B. das Beschreiben und Erklären) zu fördern. Sie bieten somit ein besonders Potential für die sprachliche Bildung in der Kita. Dies haben die Ergebnisse des Projektes „Versuch macht klug und gesprächig“ gezeigt, welches in den Jahren 2013 und 2014 von Prof. Dr. Monika Rothweiler und Dr. Tobias Ruberg (Universität Bremen) sowie Dr. Franziska Larrá (Elbkinder Hamburg) geleitet wurde und durch die Nordmetall Stiftung finanziell unterstützt wurde. Aus dem Projekt ist ein differenzierter Ansatz für die Verknüpfung von sprachlicher mit naturwissenschaftlicher Bildung entstanden, der in Form eines Materialbandes konkrete Einsatzmöglichkeiten für die pädagogische Praxis liefert. Der Materialband gliedert sich in vier Hefte mit den folgenden Themen:

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1. Theoretische Grundlagen
Sterner, Franziska & Daria Skolaude & Tobias Ruberg & Monika Rothweiler (2014). Versuch macht klug - und gesprächig. Heft 1: Theoretische Grundlagen. Hamburg: Elbkinder Hamburg.
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2. Der Sprachbildungsansatz
Sterner, Franziska & Daria Skolaude & Tobias Ruberg & Monika Rothweiler (2014). Versuch macht klug - und gesprächig. Heft 2: Der Sprachbildungsansatz. Hamburg: Elbkinder Hamburg.
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3. Sprachbildungsaktivitäten Teil 1
Sterner, Franziska & Daria Skolaude & Tobias Ruberg & Monika Rothweiler (2014). Versuch macht klug - und gesprächig. Heft 3: Sprachbildungsaktivitäten, Teil 1. Hamburg: Elbkinder Hamburg.
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4. Sprachbildungsaktivitäten Teil 2
Sterner, Franziska & Daria Skolaude & Tobias Ruberg & Monika Rothweiler (2014). Versuch macht klug - und gesprächig. Heft 4: Sprachbildungsaktivitäten, Teil 2. Hamburg: Elbkinder Hamburg
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Sprachförderstrategien

Der Sprachbildungsansatz im Projekt Versuch macht klug und gesprächig besteht aus den folgenden Komponenten:

1. Unterstützendes Sprachverhalten

2. Analyse des Sprachbildungspotentials naturwissenschaftlicher Experimente

3. Sprachbildungsaktivitäten im Kontext naturwissenschaftlicher Experimente

 

Die erste Komponente „Unterstützendes Sprachverhalten“ ist von übergeordneter Art und stellt eine Grundlage sprachbildenden Verhaltens dar. Schauen Sie sich im folgenden Video an, wie Sie durch Ihr eigenes Sprachverhalten, den kindlichen Spracherwerb unterstützen können. Das Video erklärt detailliert die verschiedenen Sprachförderstrategien auf Basis von Beispielen aus der naturwissenschaftlichen Bildungsarbeit: 


Fragen und Antworten

Wir haben einige Fragen zur Verknüpfung von sprachlicher und naturwissenschaftlicher Bildung aus der Sicht des Ansatzes von „Versuch macht klug“ herausgegriffen und beantwortet. Ist Ihre Frage nicht dabei? Schreiben Sie uns! Wir freuen uns auf diese und veröffentlichen Frage und Antwort hier auf der Website in anonymisierter Form.

Naturwissenschaftliche Phänomene zu beobachten und über diese nachzudenken sind hervorragende Gelegenheiten, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Der Ansatz von Versuch macht klug ist eng mit sprachlicher Interaktion verknüpft. Dennoch gibt es einige didaktische Angebote, die sich besser für den gezielten Einsatz von unterstützendem Sprachverhalten bzw. für den Einsatz von Sprachförderstrategien eignet als andere. Am Beispiel des Experimentierens mit einem Freihandversuch und anschließendem Auswertungsgesprächs werden die Möglichkeiten der Sprachanregung exemplarisch gezeigt:

Diese Phase eignet sich besonders gut, um die Gegenstände, die zum Versuch benötigt werden zu benennen, so dass die Kinder die einzelnen Wörter lernen (Sprachkomponente: Wortschatz). Einige Ansätze zur Verknüpfung von naturwissenschaftlicher und sprachlicher Bildung legen hier den besonderen Fokus drauf. Wir wollen diesen Fokus aber noch erweitern. Schauen wir uns im Folgenden an, wie die Phase „Material zusammensuchen” gestaltet werden kann und welches sprachförderliche Potential sich daraus ergibt.

  • Variante 1: die pädagogische Fachkraft stellt die vorbereiteten Experimentierboxen hin und die Kinder können direkt mit dem Experimentieren anfangen. Aus dieser Phase ergibt sich zweifelsfrei kein sprachförderliches Potential.
  • Variante 2: Die pädagogische Fachkraft schaut sich mit den Kindern alle benötigten Gegenstände an. Im Experiment „Die Kerze im Glas” sind es zum Beispiel ein Glas, ein Teller mit Wasser, ein Teelicht und ein Stabfeuerzeug. Dabei könnte sie die Kinder zunächst nach den Namen der Gegenstände fragen oder sie gegebenenfalls selbst benennen. Das sprachförderliche Potential besteht darin, dass die Kinder die Wörter wiederholen oder neu lernen.
  • Variante 3: Die pädagogische Fachkraft (PFK) benennt ebenfalls die Gegenstände, setzt jedoch verschiedene Sprachförderstrategien mit ein. Beispiel:
    PFK: „Was ist das”
    Kind: „Kerze”
    PFK: „Genau, eine Kerze. Die werden wir gleich anzünden” (Sprachförderstrategie Thematische Fortführung, siehe VIDEO).
    Als sprachförderliches Potential ergibt sich, dass das Kind nicht nur das Wort lernt, sondern auch den unbestimmten Artikel („eine Kerze”), den bestimmten Artikel („Die werden wir gleich anzünden”), sowie auch thematisch verknüpfte Wörter („anzünden”).

TIPP: Die meisten Freihandversuche werden mit Alltagsmaterialien durchgeführt, deren Begriffe vielen Kindern im Alter von 4 bis 5 Jahren geläufig sein werden. Das ausführliche Benennen der Gegenstände mag so überflüssig erscheinen. So gibt es jedoch manche Begriffe, die im Alltag eher wenig verwendet werden. Manche Kinder kennen aber vielleicht auch alltägliche Begriffe eben noch nicht, da sie vielleicht Deutsch als zweite Sprache erwerben oder durch ein sprachlich wenig anregendes Umfeld noch nicht so viele Begriffe kennengelernt haben. Entscheiden Sie also immer gemäß des Sprachentwicklungsstandes der Kinder, wie Sie die Phase der Materialzusammenstellung gestalten.

Wenn die Kinder eigenständig mit Freihandversuchen oder auch an den Versuchsstationen experimentieren, sollten sich die Kinder frei und ungestört inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen. Die pädagogischen Fachkräfte sollen also das Experimentieren nicht anleiten bzw. sprachlich begleiten. Vielmehr halten sie sich zurück und fungieren nur als Beobachter und Lernbegleiter. So bekommen die Kinder Raum und Zeit für eigenständiges und ungestörteres Experimentieren, was eine essentielle Grundlage des Ansatzes von Versuch macht klug ist.

Während in der Phase des Experimentierens mit Freihandversuchen (oder auch an den Versuchsstationen oder im Rahmen von Workshops) die eigenständige und ungestörte, kindliche Auseinandersetzung mit den Phänomenen im Vordergrund steht, eignet sich die Phase der Auswertungsgespräche ganz besonders für sprachbildende Aktivitäten. In dieser Phase können die Kinder gemeinsam mit der pädagogischen Fachkraft ihre Erfahrungen reflektieren. Sie können das Gesehene beschreiben, Erklärungen finden oder auch Bezüge zum Alltag herstellen. Neben dem entsprechenden Wortschatz erfordern bzw. fördern die Auswertungsgespräche zum Beispiel die Sprachhandlungsformate „Beschreiben“ und „Erklären“. Um diese Formate umzusetzen, ist es erforderlich sich sprachlich komplex auszudrücken (siehe auch „Versuch macht klug und gesprächig“ Heft 2, Kap 3.1 und 3.2). Auch die Einhaltung von Kommunikationsregeln, also der Einsatz von diskursiven Fähigkeiten, ist hier wichtig. Die pädagogische Fachkraft orientiert sich in ihrem eigenen sprachlichen Handeln wieder an den Prinzipien des unterstützenden Sprachverhaltens. Das Interesse für den kommunikativen Austausch und für die Themen der Kinder ist hier eine Grundvoraussetzung. Weitergehende Informationen zu den eben vorgestellten sprachlichen Handlungsformaten erhalten Sie im Heft 1 des Projekts Versuch macht klug und Gesprächig.

Gemäß den Ergebnissen des Projektes „Versuch macht klug und gesprächig“ eignen sich für die Ermittlung des Sprachbildungspotentials von Experimentierstationen folgende Leitfragen, die sich auch auf die Arbeit mit Freihandversuchen übertragen lassen:

  1. Für welche Experimentierstationen bzw. Freihandversuche interessieren sich die Kinder besonders?
  2. Inwiefern regt die Experimentierstation bzw. der Freihandversuch zum Sprechen an?
    Materialtipp: Nutzen Sie zur Dokumentation ihrer Beobachtungen den Beobachtungsbogen aus dem Versuch macht klug und gesprächig Heft 2, S 25.
  3. Welches Sprachbildungspotential bietet eine Experimentierstation bzw. ein Freihandversuch im Hinblick auf:
    a. den Wortschatz
    b. Sprachhandlungsformate (z.B. Beschreiben, Erklären, sich gegenseitig Anweisungen geben)
    Materialtipp: Erstellen Sie zur Wortschatzermittlung eine „Mindmap” auf der Sie besonders wichtige Wörter verzeichnen (siehe Versuch macht klug und gesprächig, Heft 2, S. 15).

Ausführliche Informationen, weitere Hinweise und Beispiele finden Sie im Heft 2, Abschnitt 3.1 des Projektes Versuch macht klug und gesprächig.

Ein akzeptierender Gesprächsstil, der Handlungen der Kinder oder Sachverhalte kommentiert, der Äußerungen der Kinder aufgreift und sie weiterführt, beeinflusst den Spracherwerb weitaus positiver als ein direktiver, durch Aufforderungen und Handlungsanweisungen geprägter Gesprächsstil. Folgendes Beispiel erläutert dies. Im Versuch „Wir bauen ein Boot” haben die Kinder aus Alufolie selbst ein Boot konstruiert. Nun kommt der spannende Moment, es ins Wasser zu lassen. Erzieherin A sagt: „Setz das Boot mal ins Wasser” oder „Willst du das Boot mal ins Wasser setzen?”. Der von ihr gewählte direktive Sprachstil zielt darauf ab, das Verhalten des Kindes zu lenken. Zum Sprechen regt es aber nicht an (mit Ausnahme vielleicht eines „Ok” oder „ja” des Kindes). Erzieherin B sagt hingegen: „Was meinst du, was passiert, wenn du das Boot jetzt ins Wasser setzt?”. Ihre Frage ist zum einen offen formuliert, denn das Kind muss in seiner Antwort mindestens zwei Satzglieder verwenden (z.B. „Das Boot schwimmt”) und wird somit angeregt grammatisch komplexere Äußerungen zu machen. Zum anderen signalisiert die Erzieherin mit ihrer Frage, dass sie an den Gedanken und Vorstellungen des Kindes interessiert ist. Es regt sie an, Hypothesen aufzustellen, was mit dem Boot passieren wird, wenn es ins Wasser gelassen wird.

Auch wenn die verschiedenen Sprachförderstrategien (z.B. korrektives Feedback) oder auch Fragetechniken, um die Sprache anzuregen, bekannt sind, erfordert es doch manchmal etwas Übung, diese Strategien gezielt einzusetzen. Versuchen Sie daher, nicht alle Strategien auf einmal umzusetzen, sondern konzentrieren Sie sich erst einmal auf eine Strategie, denn eine natürliche und ungestörte Kommunikation mit den Kindern sollte immer an erster Stelle stehen. Erweitern Sie dann Schritt für Schritt ihr Repertoire. Unterstützung kann Ihnen die Begleitkarte „Sprachförderliche Verhaltensweisen“ aus dem Projekt „Versuch macht klug und gesprächig“ bieten (siehe Heft 4, S. 16).

Literaturempfehlungen zur Verknüpfung von sprachlicher und naturwissenschaftlicher Bildung:


Ruberg, T. & Rothweiler, M. (2015): Gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung im Kontext naturwissenschaftlicher Bildung – das Beispiel Versuch macht klug und gesprächig, Praxis Sprache, 4, S. 237-245.


Sens, A. (2009): Naturwissenschaften und Sprache. In Jampert, K., Zehnbauer, A., Best, P., Sens, A., Leuckefeld, K. & Laier, M. (Hrsg.): Kinder-Sprache stärken! Sprachliche Förderung in der Kita: das Praxismaterial. Heft 2: Wie viel Sprache steckt in Bewegung und Naturwissenschaften? (33-60) Weimar: Verlag das Netz.


Literaturempfehlungen zur alltagsintegrierten sprachlichen Bildung allgemein:


Ruberg, T. & Rothweiler, M. (2012), Spracherwerb und Sprachförderung in der KiTa, Stuttgart: Kohlhammer.


Kucharz, D., Mackowiak, K. & Beckerle, C. (2015), Alltagsintegrierte Sprachförderung: ein Konzept zur Weiterqualifizierung in Kita und Grundschule.